Ein Zeuge namens Messer

Der Kronzeuge gegen die Frankfurter Hells Angels hat offenbar versucht, die Kripo zu erpressen: Er verlangte ein neues Versteck im Ausland und bevorzugte Behandlung – andernfalls werde er sein Wissen über geheime Polizeiaktionen preisgeben. Dokumente, die dieser Zeitung vorliegen, belegen: Kripobeamte haben tatsächlich massiv gegen Vorschriften und Gesetze verstoßen. Einblicke in eine Polizei-Affäre, die von den Behörden bis heute unter Verschluss gehalten wird.

Frankfurt. Fragt man im Zentrum der Kurstadt Bad Kreuznach nach einem gewissen „Daniel Messer“, findet man etliche Menschen, die sich noch ganz gut an den Mann erinnern. Eine Friseuse, ein Pizzabäcker, eine Rezeptionistin – nett ist jedoch nicht, was sie zu berichten haben. „Ein Spinner“ sei der Mann, „ein Wichtigtuer.“ Eine Frau sagt: „Der erzählte überall rum, er sei vom Geheimdienst.“

Die Wahrheit ist etwas komplizierter. „Daniel Messer“ heißt in Wirklichkeit ganz anders, nur weiß das kaum einer. „Daniel Messer“ ist ein Name, den sich der Mann selbst ausgesucht hat – und unter dem er dann beim Meldeamt registriert wurde. Als „Daniel Messer“ eröffnete er ein Bankkonto, als „Daniel Messer“ kassierte er Geld vom Arbeitsamt, und nicht zuletzt wurde er als „Daniel Messer“ krankenversichert und von Ärzten behandelt.

All das haben Beamte des Landeskriminalamts (LKA) in Rheinland-Pfalz möglich gemacht – auf ausdrückliche Bitte des LKA in Hessen, dessen Top-Informant der Mann war: „Daniel Messer“ war es, der mit seinen Aussagen die hessische Polizei Ende 2010 in ihre größte Schlacht gegen die Frankfurter Hells Angels geführt hatte.

Der Feldzug endete allerdings in einem Fiasko: Razzien mit mehreren tausend Beamten brachten so gut wie keine Ergebnisse. Der Grund: „Daniel Messer“ hatte die Polizei getäuscht und belogen. Der Mann, der im richtigen Leben Daniell M.-D. heißt, der heute 43 Jahre alt ist und als Dachdecker in Frankfurt und Bad Vilbel gelebt hat, ist ein dreister Aufschneider und vorbestrafter Betrüger.

Diese Zeitung hatte erstmals die Wahrheit über den Kronzeugen öffentlich gemacht: Wir hatten berichtet, dass Daniell M.-D. etliche Menschen um ihr Erspartes gebracht hat und deshalb – übrigens noch heute – von seinen Gläubigern gesucht wird; dass er sich im Rotlicht-Milieu Geld geliehen und nicht zurückgezahlt hat; und dass er sich, als er keinen Ausweg mehr sah, der Polizei angedient hat – mit hanebüchenen Geschichten über das kriminelle Treiben der Frankfurter Hells Angels.

Der Kronzeuge – ein mit Haftbefehlen gesuchter Betrüger: Bis heute haben die Behörden mit keinem Wort der Erklärung auf diese Enthüllung reagiert. Sie haben geschwiegen – aus Gründen der Geheimhaltung, wie es hieß, und zum Schutz des Zeugen.

Jetzt allerdings liegen neue Dokumente vor, die einen ganz anderen Verdacht erlauben: Die Ermittler halten die Akte Daniell M.-D. nur deshalb unter Verschluss, weil sie selbst gegen Recht und Gesetz verstoßen haben. Und weil Daniell M.-D. sie damit in der Hand hat und immer wieder unter Druck setzt – bis heute.

Blenden wir kurz zurück: Frühjahr 2010 – Sabine Thurau ist als Vizepräsidentin im Frankfurter Polizeipräsidium unter Beschuss geraten, seit bekannt wurde, dass sie Beamten übel mitgespielt hat. Trotzdem wird sie vom damaligen Innenminister Volker Bouffier (heute: Ministerpräsident von Hessen) befördert: Zum 1. April 2010 zieht sie als neue Präsidentin in das Landeskriminalamt in Wiesbaden ein.

Kurz darauf meldet sich Daniell M.-D. bei ihr: Er sei ganz dicht an den Hells Angels dran, erzählt er, er wisse alles über die kriminellen Machenschaften der Rocker, er sei bereit auszupacken. Die LKA-Chefin wittert die Chance, mit einem erfolgreichen Schlag gegen die organisierte Rockerkriminalität ihren eigenen ramponierten Ruf aufpolieren zu können. Sie gründet im LKA die Arbeitsgruppe „AG Pueblo“; ihr Plan: Mit Hilfe von Daniell M.-D. soll den Rockern das Handwerk gelegt werden.

Schon erste Aussagen des Informanten lassen die LKA-Chefin glauben, sie werde bis dato für undenkbar gehaltene kriminelle Strukturen in der Stadt Frankfurt aufdecken können. In einem vertraulichen Bericht notiert sie später: „Von den Korruptionsvorwürfen waren zu diesem Zeitpunkt u. a. hochrangige Polizeibeamte (Polizeipräsidium Frankfurt und LKA) betroffen, auch das Ordnungsamt Frankfurt und das Ministerium waren mutmaßlich tangiert.“ An anderer Stelle protokolliert sie: In Absprache mit dem Staatsanwalt sei „höchste Geheimhaltung geboten“.

Thurau macht Druck. Schon Ende April 2010, sie ist noch keine vier Wochen im Amt, ruft sie im rheinland-pfälzischen LKA im nahen Mainz an: Sie habe einen Zeugen, der extrem wichtig, aber auch extrem gefährdet sei. Der müsse geschützt werden, was üblicherweise von einem anderen Bundesland übernommen werde, weshalb sich das Mainzer Zeugenschutzdezernat des Mannes annehmen möge.

Noch bevor die schriftliche Zusage aus Mainz vorliegt, wird Daniell M.-D. von Wiesbadener LKA-Beamten nach Rheinland-Pfalz gebracht. Es ist Montag, 17. Mai 2010:

In Mainz steigt der Mann in einen gepanzerten Mercedes, über den das dortige Zeugenschutzdezernat verfügt. Im Fond der dunkelblauen Limousine zieht er die schwarzen Gardinen vor den Seitenscheiben zu und kommt eine gute halbe Stunde später im 50 000-Einwohner-Städtchen Bad Kreuznach an. Eine kleine Ferienwohnung mit Kochnische in der Badeallee, angemietet von Mainzer Zeugenschützern bei einem privaten Appartement-Vermittler, wird seine Bleibe für die nächsten Wochen sein.

Für Sicherheitsexperten ist dies der erste schwere Verstoß gegen die Vorschriften: Bad Kreuznach gilt als Rocker-Hochburg – hier einen Kronzeugen gegen die Hells Angels unterzubringen, ist absolut unprofessionell, ja lebensgefährlich!

Vier Tage später, am Freitag, 21. Mai 2010, unterzeichnet Sabine Thurau das offizielle „Übernahmeersuchen“. Das Schreiben ist adressiert an Wolfgang Hertinger, den Chef des Mainzer LKA. Fett gedruckt steht im Briefkopf: „VS – nur für den Dienstgebrauch“.

Ein Zeuge könne „umfangreiche Angaben zu den Strukturen der ,Hells Angels‘ machen“, schreibt Thurau unter Aktenzeichen 14-Z-26/10. „Durch die Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens ist es notwendig, den Zeugen nicht durch eine hessische Zeugenschutzdienststelle betreuen zu lassen.“ Sie bittet, Daniell M.-D. in den Zeugenschutz Rheinland-Pfalz zu übernehmen und „die erforderlichen Maßnahmen zu seinem Schutz zu treffen“. Hessen übernehme alle Kosten.

Zweiter Verstoß gegen die Regeln: Die Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm ist normalerweise mit einem komplexen Verfahren verbunden. Bei einer meist mehrtägigen Befragung, die nach einem 76-seitigen Handbuch („VS – Nur für den Dienstgebrauch“) abzulaufen hat, wird das Vorleben des Zeugen bis ins kleinste Detail durchleuchtet. Ziel des „Biographischen Interviews“ ist es, herauszufinden, ob der Informant überhaupt als Zeuge geeignet ist. Am Ende der Befragung sind elf Unterschriften zu leisten, womit sich der Zeuge unter anderem zur strengen Befolgung aller Vorschriften sowie zur absoluten Geheimhaltung verpflichtet.

Aus unerklärlichen Gründen verzichtete das LKA Hessen bei Daniell M.-D. auf diese Befragung. Das holten zwei Mainzer Zeugenschützer erst einige Wochen später nach. Als Beobachterin nahm eine als sehr erfahren geltende Kriminalpsychologin an den Gesprächen teil. Die kam zu einem ebenso eindeutigen wie vernichtenden Urteil: Daniell M.-D. sei extrem narzisstisch veranlagt, schrieb sie in einem internen Bericht, er mache nur die Aussagen, von denen er sich Vorteile verspreche, und selbst dabei sei er absolut unglaubwürdig.

Die vertrauliche Psycho-Analyse wurde den Frankfurter Staatsanwälten übermittelt, die das Hells-Angels-Verfahren federführend leiteten. Die reagierten überraschend konsequent: Sie weigerten sich, Daniell M.-D. als Zeugen bei den Ermittlungen gegen die Hells Angels zu akzeptieren.

Und damit hatten die Ermittler in den Landeskriminalämtern in Wiesbaden und Mainz plötzlich ein Riesenproblem: Daniell M.-D. hieß doch bereits „Daniel Messer“! Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen, beweisen: Die Zeugenschützer hatten längst Tarnpapiere mit einer neuen Identität für den Mann anfertigen lassen. Beim Mainzer Einwohnermeldeamt war er registriert worden – mit seinem neuen Namen, seinem richtigen Geburtsdatum (05.04.1969), mit falschem Geburtsort („Mainz“) und ausgedachter Wohnadresse („Sophie-Cahn-Straße“).

In der Mainzer Führerscheinstelle liegt ein Schreiben des Zeugenschutzdezernates („Es wird daher gebeten, eine Umschreibung der Fahrerlaubnis auf den Namen Daniel Messer, *05.04.1969 in Mainz, vorzunehmen“). Im Jobcenter des Arbeitsamtes registrierte man „Daniel Messer“ ebenfalls, als Hartz-IV-Empfänger wurde er umgehend AOK-krankenversichert.

All das ging ganz fix vonstatten, da die Zeugenschützer stets das „Zeugenschutzharmonisierungsgesetz“ vorlegten, das die Ausgabe von Tarnidentitäten regelt. Nur eine Behördenmitarbeiterin zeigte sich etwas zickig: Sie hatte festgestellt, dass sich unter der angegebenen Wohnadresse von „Daniel Messer“ in der Sophie-Cahn-Straße nur ein Briefkasten befindet. Sie wusste nicht, dass es sich um einen Deckbriefkasten des Zeugenschutzdezernates handelt…

Zu diesem Zeitpunkt hätten die Ermittler noch problemlos aussteigen können. Ein Zeuge, der nicht glaubwürdig ist, den die Staatsanwaltschaft nicht akzeptiert – „der hat in einem Zeugenschutzprogramm nichts, aber auch gar nichts zu suchen“, sagt ein Kripomann.

Doch hier passierte das Gegenteil: Daniell M.-D. behielt, mit polizeilichem Segen, seine „Daniel Messer“-Tarnung bei. Er wohnte weiter auf Kosten des Landes Hessen in Bad Kreuznach, wurde von Zeugenschützern betreut.

Der Mann muss sich verdammt sicher gefühlt haben: In den nächsten Wochen und Monaten missachtete er wiederholt nahezu alle Vorschriften des Zeugenschutzprogramms – und wurde trotzdem von den Ermittlern „gepampert“: mit schicken Autos, mit Geld, auch mit Urlaub im Ausland. Auf diese Weise, so kalkulierten die Ermittler, würde ihnen der Zeuge geneigt bleiben und mit weiteren Infos versorgen. Dass er sie hinhielt, dass er trickste, dass er log – haben sie es wirklich nicht bemerkt?

Im Innenministerium sitzen Kriminalbeamte, die noch heute Wutanfälle bekommen, wenn sie sich daran erinnern. Deshalb reden sie jetzt. Sie wollen nicht akzeptieren, dass ihre Behörde gravierende Verstöße gegen grundlegende Regeln polizeilichen Handelns „einfach so“ hinnimmt. „Irgendwann muss die Wahrheit doch raus“, sagen sie.

Die Aussagen der Beamten und die von ihnen vorgelegten Dokumente zeichnen ein schockierendes Bild von der Arbeit der Landeskriminalämter in Wiesbaden und Mainz: Ermittler haben ganz offensichtlich unter dem Deckmantel notwendiger Kriminalitätsbekämpfung und abgeschirmt durch undurchsichtige Geheimhaltungsmaßnahmen die Grenzen der Legalität deutlich überschritten.

Erschienen in der FNP am 28.01.2013

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